Guido Freis

Blickfrei(s)

Die Solo-Tour mit dem Kanu durch Alaska war ein Kindheitstraum. Die Realisierung bedurfte einiges an Vorbereitung. Mit das Schwierigste war einen Outfitter zu finden, der willens ist, einen Einzelreisenden auszustatten - ich wollte ja nun nicht alles im Flieger mitschleifen und auch nicht alles vor Ort neu kaufen.
Als ich dann nach 36 Stunden Anreise endlich auf meinem kleinen Flüsschen ca. 100km nördlich von Fairbanks ausgesetzt wurde, bestand das Empfangskomitee aus Regen und letzten Eisschollen.
Damit war schon mal eins klar: ein Strandurlaub mit Vollpension wird das nicht.

So hatte ich mir meine Unterkunft vorgestellt. Ein Tarp und ansonsten freien Blick auf den Himmel. Das Moskitonetz ist ein Zugeständnis an die Milliarden von kleinen freundlichen Quälgeistern, die einem die Dämmerung versüßen.
So schön es war - ich hab diese Form der Unterkunft nur einmal aufgebaut. Zum einen weil der Aufbau als Solo-Tourist schon bei Windstille ein kleines Kunststück ist und vor allem, weil der Wind, welcher gerne aus Norden vom Nordpolarmeer reinweht, so gar nichts Gemütliches hat.

Belle Cousine wurde in Alaska nicht geboten. Solange die Vorräte noch vorhanden waren, war die Verköstigung aber abwechslungsreich - und gut.
Später wurde das Angebot etwas rarer - vornehmlich Fisch und Enten. Angeln stellte für mich als Laien gar kein Problem dar. Die Fische in Alaska sind wirklich hungrig und schnappen nach allem was auch nur annähernd aussieht wie ein Köder. Die Enten wurden hin und wieder Abends am Wasser "zum Essen eingeladen".

Wie man sich vielleicht denken kann, habe ich mich nicht getraut, die "große und gute" Kameraausrüstung mit zu nehmen. Die Bilder sind daher qualitativ limitiert - dennoch kann man hier gut erkennen, wie die typische Landschaft entlang des Flusses aussieht.
Der Fluss ist der Beaver Break und mündet später in den Yukon.

Der Beaver Creak ist ein ruhiger Fluss - ideal für solch eine Solotour. Meist ist der Fluss etwa 2m tief, aber in einigen Abschnitten wird er sehr flach. So flach, dass man schlicht aussteigen muss und das Kanu weiterziehen darf. An anderen Stellen wird er aber auch eng und schnell. Die tiefste Stelle, die ich finden konnte, war tiefer als 5m. Das Kanu war stets so gepackt, dass ein Kentern möglichst nicht zu einem Totalverlust der Ausrüstung führt. Kentern ist auf dieser Tour gleichzeitig die wahrscheinlichste und übelste Gefahr. Als Solo-Tourist scheut man diese Gefahr besonders. Alleine und ohne Ausrüstung verliert die Landschaft sehr schnell ihren Charme. Dann wird es ein echter Abenteuer-Urlaub.

Ok, man weiß, das es Wölfe in Alaska gibt. Gesehen habe ich keinen einzigen. Gehört habe ich sie nur in zwei Nächten.
Dennoch. Wenn man morgens nach dem man aus dem Zelt geklettert ist, keine 10 Schritt entfernt frische Spuren von Canis lupus findet und dann auch noch attestieren darf, dass das definitiv kein Welpe war, schaut man sich doch noch mal vorsichtig um und tastet nach der Waffe auf dem Rücken.

Nachdem die Unterbringung im Tarp verworfen wurde, musste das gute Hilleberg-Zelt (das habe ich tatsächlich über den Atlantik geschleppt) ran. Diese Bild zeigt sozusagen ein vorschriftsgemäßes Lager: Das Boot und die Ausrüstung mit einer Plane vor Regen geschützt und vor allem mit einem langen Tau sicher am Ufer vertäut. Die Box mit den Lebensmitteln, welche Bären anlocken könnte, im respektablen Abstand zum Zelt. Der alte Indianer-Trick, die Lebensmittel in einen Baum hochzuziehen, klappt in Alaska nicht. Die Bäume und deren Äste sind einfach zu mickrig. Abgerundet wird das Lager durch einen Stecken, den man bei der Anlandung an die Wasserkante setzt. So bekommt man mit, falls sich durch starke Regenfälle hinter einem der Wasserstand überraschend hebt und droht das Lager weg zu spülen.

Das ist der Grund für diese Tour.
Dieser Anblick, die Weite in Verbindung mit der Menschenleere ist für mich Balsam.
Freunde haben mich gefragt, ob das nicht sehr einsam gewesen sei? Nein. In der Natur kann ich nicht einsam sein. Nur alleine. Einsam fühle ich mich höchstens in einer fremden Stadt.
Und eine Solo-Tour sollte man nicht starten, wenn man nicht mit sich alleine sein kann. Das gibt höchstens Streit.

Meine damaligen Ausbilder hätten Spaß an mir gehabt. Meine Kochstellen erfüllen jede Anforderung. Kochen und Essen wurden von Tag zu Tag immer bedeutsamer und wirkten schon fast meditativ auf mich.

Ich habe sie nicht gezählt. Es waren viele. Elche findet man auf einer Kanu-Tour reichlich.
Diese Elchdame umschlug mein Lager am Vegetationsrand und warf immer mal wieder einen Blick auf den fremden Besucher. Dabei ließ sie sich auch vom Qualm des Kochfeuers, durch den sie seelenruhig durchschritt, nicht weiter beeindrucken.

Nacht?
Nix Nacht!
Dunkler als dieses Bild wurde es nicht. Im Sommer geht nördlich des Polarkreises die Sonne schlicht nicht unter. Kurzes Aufsetzen am Horizont und dann gehts wieder hoch.

Ein Buch über Alaska weiß zu berichten, dass man Alaska im Sommer nur auf dem Wasserweg bereisen sollte.
Ich kann das unterdessen bestätigen.
Geplant hatte ich eine ausgelagerte Trapperhütte, welch mir mein Outfitter in der Karte eingetragen hatte, etwa 12km abseits des Braver Creaks aufzusuchen um dort 2 oder 3 Tage in den Bergen zu verbringen.
Wie auf dem Bild aufgrund des Wollgrases und des besonders lausigen Wuchses der Fichten zu erahnen ist, ist der Untergrund pitschnass. Solange man von Dolde zu Dolde balanciert, ist alles gut. Rutscht man ab, steckt man fast bis zum Knie im Morast.
Nach knapp 5 Stunden Marsch durch diese wenig erbauliche Landschaft sagte mir mein GPS, dass ich von den 12km gerade mal 4,5km geschafft habe. Da dann auch noch ein riesiger Windwurf die Fichten als Mikado-Haufen in meinen Weg gelegt hatte, gab ich auf und drehte um.
Man muss wissen, wenn man verloren hat.

Auch diese Vertreter der Landraubtiere sind einem vor dem Alaska-Aufenthalt bekannt.
Aber auch hier ist eine Live-Begegnung etwas ganz anderes.
Dieser kleine Vertreter blieb schön artig auf der anderen Flussseite und ich konnte mein Bären-Spray und die Waffe wieder wegstecken und stattdessen fotografieren. Der Puls war trotzdem "leicht erhöht".
Wesentlich brenzliger war eine andere Begegnung mit einem für meinen Geschmack riesigen Vertreter.
Geangelt und ausgenommen wurden Fische grundsätzlich flussabwärts, damit der Duft die Grizzlys nun nicht gerade in meine Stube lockt.
Blöd nur, wenn man schon auf dem Weg zum Angeln um einen großen Busch am Ufer läuft und auf 15 Metern sich ein Grizzly bereits aufrichtet - weil er mich natürlich viel früher mitbekommen hatte als ich ihn. Man erstarrt unwillkürlich zur Salzsäule und rührt keine Wimper mehr. Bei der Beurteilung der Lage kommt man zum Schluss, dass Weglaufen keine reelle Chance mehr ist. Langsam, ganz langsam holt man die Waffe vom Rücken - die man genau aus diesem Grund immer und überall mit hinnimmt. Da war der Outfitter in seinen Ratschlägen mehr als eindeutig. Genauso bei seiner Empfehlung was im Fall der Fälle zu tun ist: "Vergiss das Spray. Das macht sie nur böse. Wenn ein Grizzly angreift und dichter als 10m kommt - schieß, schieß, schieß!"
Der Grizzly und ich stellten aber beide fest, dass die Lage keineswegs eskalieren muss. Ich machte einen Schritt nach dem anderen rückwärts und Herr Grizzly begab sich wieder auf alle viere und drehte dann ebenfalls in entgegengesetzte Richtung ab.
Ich mag Grizzlys.

Der Beaver Creak zieht sich über viele Kilometer durch die White Mountains und bietet hierbei immer wieder wunderschöne Anblicke.

Ein Selfie als es den Begriff noch nicht gab.
Selbst mit leichtem Gepäck war man noch ganz schön beladen. Neben der Waffe, dem Bären-Spray (an der blauen Schnur) war stets der Notfall-Rucksack am Mann. In diesem war ein klassisches Survival-Kit, Erste-Hilfe-Material, Wasserbeutel, Wasserfilter (das Wasser in Alaska ist mit Bieber-Fieber verseucht) GPS und Satelliten-Telefon.
Man will auch wieder nach Hause gelangen...

Die Wettervorhersage in Alaska fällt recht leicht. Selbst für Nicht-Trapper und Nicht-Indianer.
Ich habe flugs mein Lager wasserfest aufgestellt.
Der Regenguss der folgte, hätte die alten Indianer zur Erfindung einer Sintflut-Geschichte animiert.

Dieses Dall-Schaf mit Jungtier lief etwa 10 Minuten am Fluss entlang. Sie suchten eine geeignete Stelle zur Querung, das Jungtier schön im Strömungsschatten des Muttertieres. Da ich wusste, dass diese Tiere normalerweise in größeren Herden leben, folgte ich ihnen.

Wie erwartet führten die beiden mich zu der Herde. Diese war völlig entspannt als ich mit dem Kanu lautlos auf dem Fluss auf sie zutrieb. Erst als ich auf ca. 5m herankam, wurde es ihnen unheimlich. Beachtlich wie diese Tiere den Berg hochspringen und Tritte finden, wo eigentlich gar keine sind.

Auf dem Bild sieht man schön, wie das vergleichsweise warme Wasser (ca. 8 Grad) auf das kalte Wasser einen kleinen Nebenflusses aus den Bergen trifft.
Wenn nicht gerade der Wind vom Polarmeer wehte, waren die Temperaturen etwa bei 15 Grad. Manchmal etwas wärmer. Wind war stets begehrt, auch wenn die Temperaturen dann fielen, da der Wind die Moskitos verwehte und die Viecher einen am Fluss nicht anfliegen konnten.
Das Moskitomittel meines Outfitters hätte in Deutschland vermutlich Katastrophenalarm ausgelöst. Versehentlich hatte ich das DEET-Mittel auf das Plastikarmband meiner Uhr gesprüht - man hatte mich davor gewarnt. Als ich sah, dass das Mittel Blasen auf dem Plastik warf und das Armband sich auflöste, hatte ich die Uhr fix gelöst und frug mich, was letztlich unangenehmer sein würde: die Moskitos jetzt oder Folgen des Mittels später?

In den USA dürfen Weißkopfseeadler nicht fehlen.

Ich kenne niemanden, der Bieber nicht mag - außer mir.
Ich mag sie nicht.
Die possierlichen Tierchen haben ja bekanntlich die Neigung so hübsche Bauwerke wie das auf diesem Bild zu errichten.
Wenn dieses Bauwerk einem Solo-Touristen aber immer wieder den Weg verbaut, man sein Kanu entladen muss, alles um das Bauwerk tragen darf, ca. 5 mal hin und her rennen muss und letztlich das Kanu durch die Botanik schleppen darf, findet man die Bieberpopulation in Alaska eindeutig zu hoch.

Dieses Lager musste ich keine 2 Stunden nachdem ich es bezogen hatte, wieder verlassen.
Der Wasserpegel stiegt minütlich und es war abzusehen, dass ich in ca. 2 weiteren Stunden nasse Füsse bekommen würde. Wer will da schon schlafen?

Das war die Stelle, wo der Beaver Creak eine seiner vielen Mäander bei einem Hochwasser selber durchbrochen hat und auf relativ kurzer Strecke relativ viel Gefälle bekam. So entsteht Wildwasser. Gespickt mit den Überresten der umgerissenen Fichten. Nichts was man als Solo-Fahrer in dieser Gegend austesten möchte. Könnte gutgehen, könnte aber auch fies ins Auge gehen.
Also Plan B.

So sah das alte, nun verlassene Flussbett aus. Die zwei großen Schleifen, welche nun abgeschnitten und wasserlos waren, stellten den Plan B dar.
Ich musste nur mit meinem Kanu da durch wandern und an der Stelle wieder in den Fluss einsetzen, wo die neue Abkürzung auf den alten Flussweg trifft.
Guter Plan.
Hat auch geklappt.
Leider war eine Strecke knapp 4 Kilometer. Und ich musste sie 5 mal hin und her latschen. Ergo 40 Kilometer. Eine Strecke beladen wie ein Ochse + Notfallrucksack + Waffe. Die andere Strecke nur mit Waffe und Notfall-Rucksack.
Um es kurz zu machen - die Aktion hat mich 2 Tage gekostet. Danach hieß es fleißig paddeln, um wieder Strecke gut zu machen.

Vom Outfitter wusste ich, dass diese Hütte kurz vor dem Ende der Reise auf meiner Route lag. Diese Hütten sind in Alaska nie verschlossen - aus gutem Grund.
Nach fast 3 Wochen im Zelt ist eine solche Hütte Gold wert. Also mit allem Hab und Gut rein in das Ding.
Luxus pur.

Was ein Vergnügen. Das letzte Mehl zum Backen verwenden, das Fett der Ente lässt das Fleisch herrlich brutzeln. Was für ein Duft.
Und ich habe mir nix dabei gedacht.
Anfänger.

Ich hätte es wissen sollen. Der Duft zog diesen Schwarzbären an. Er stand auf den Hinterpranken und wippte mit den Vorderbranten gegen das Fenster. Dieses war glücklicherweise aus starkem Plexiglas und federte immer wieder nach. Als ich aus dem Schlaf hochgerissen mitbekam, dass der schwarze Geselle in die Hütte wollte, machte ich mit allem Krach was ich finden konnte, schrie ihn an und hatte mal wieder die Waffe im Anschlag. Wäre er durch das Fenster gekommen, hätte ich wohl schießen müssen.
Mein Schreien und gegen den Ofen treten hat ihn aber wohl bewegt, diesen unsympathischen Ort zu verlassen. Daher konnte ich nur noch "hinterher" fotografieren. Vorher war ich einfach nicht cool genug...
Er trollte sich. Nicht ohne vorher mein schönes Moskitonetz (im Vordergrund) zu Konfetti zu verarbeiten. Am Anfang der Reise wäre das schmerzlich gewesen. Am letzten Tag schmunzelt man.

Der Queen Victoria Berg. Hier soll mich der Buschflieger wieder rausholen. Perfektes Wetter.

Nachdem ich die Landebahn markiert habe, die größeren Steine bei Seite gerollt habe und nur wenige Minuten auf den Flieger warten muss, ist der Anblick eines Menschen nach 3 Wochen etwas besonderes.

Einen Teil meiner Flussfahrt kann ich nun von oben bewundern. Mit vielen der Flussschleifen verbindet man schöne Erinnerungen. Der Pilot ist erfahren genug und drängt mir kein Gespräch auf. Ich kann den Anblick genießen und meinen Gedanken nachhängen.

Es war ein Kindheitstraum. Und die Tour war voller Erlebnisse und schöner Momente.
Und dennoch werde ich wohl keine Solo-Tour dieser Art mehr machen.
Die Grenze zwischen Abenteuer und Katastrophe war zu oft zu schmal. Ich hänge an meinem Leben.
Stolz es geschafft zu haben und zufrieden demnächst einfachere Touren machen zu können.

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